1. Bedeutung von GenKI für die digitale Transformation
1.1 Was ist GenKI?
Generative Künstliche Intelligenz (GenKI) ist eine spezielle Form der Künstlichen Intelligenz, die in der Lage ist, auf Basis großer Datenmengen eigenständig neue Inhalte zu erzeugen. Dazu gehören Texte, Bilder, Audiodateien, aber auch Code oder datenbasierte Empfehlungen. Anders als klassische KI, die auf regelbasierten oder statistischen Modellen beruht, nutzen GenKI-Modelle neuronale Netzwerke – insbesondere sogenannte „Transformer“-Architekturen – um aus riesigen Trainingsmengen neue, kontextbezogene Ergebnisse zu generieren.
Der große Vorteil von GenKI liegt in ihrer Fähigkeit, kreative, individuelle und kontextbezogene Inhalte zu erstellen. Damit eröffnet sie neue Möglichkeiten in der Automatisierung und Digitalisierung von Prozessen, die bislang als zu komplex oder zu menschlich galten.
Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Handwerksbetriebe – wie etwa eine lokale Bäckerei – stellt dies eine bedeutende Chance dar. In der Vergangenheit war der Zugang zu hochentwickelter Technologie oft mit hohen Kosten, komplexer Implementierung und mangelndem Know-how verbunden. GenKI-Systeme, insbesondere cloudbasierte Dienste mit einfach zugänglichen Schnittstellen (APIs), senken diese Eintrittsbarrieren erheblich.
Durch den Einsatz von GenKI können KMU Prozesse effizienter gestalten, auf personalisierte Kundenbedürfnisse reagieren und datenbasierte Entscheidungen treffen – ohne eine eigene IT-Abteilung oder tiefes technisches Wissen. GenKI wird damit zum Enabler der digitalen Transformation, insbesondere in Branchen, die bisher kaum automatisiert waren.
1.2 Fiktive Fallbeispiele
Um das Potenzial von GenKI greifbarer zu machen, werden im Folgenden drei fiktive, aber realistische Einsatzszenarien aus dem Kontext einer Bäckerei beschrieben. Diese Fallbeispiele zeigen, wie generative KI-Technologien Geschäftsprozesse verändern und neue Mehrwerte schaffen können.
Beispiel 1: Automatisierte Bestellvorschläge auf Basis von Verkaufsdaten
In der traditionellen Bäckerei erfolgt die Warenbestellung oft auf Basis von Erfahrung, Bauchgefühl oder handschriftlichen Notizen. Dabei ist die Entscheidung, wie viel Mehl, Hefe oder spezielle Zutaten bestellt werden sollen, fehleranfällig. Überbestellung führt zu Verschwendung, Unterbestellung zu unzufriedenen Kunden.
Mit GenKI kann dieser Prozess automatisiert und datenbasiert optimiert werden. Ein GenKI-Modell analysiert historische Verkaufsdaten, saisonale Trends, Wettervorhersagen und sogar lokale Veranstaltungen. Auf dieser Grundlage erstellt es täglich aktualisierte Bestellvorschläge.
Beispielsweise erkennt das System, dass an Freitagen vor Feiertagen die Nachfrage nach Laugengebäck überdurchschnittlich hoch ist – und empfiehlt entsprechend höhere Bestellmengen bei den Zutaten. Gleichzeitig berücksichtigt es Lagerbestand, Lieferzeiten und Haltbarkeiten.
Die Bäckereimitarbeiter:innen erhalten morgens eine verständliche Empfehlung im System oder per App: „Für morgen wird eine erhöhte Nachfrage nach Croissants erwartet. Es wird empfohlen, die Teigmenge um 20 % zu erhöhen.“ Diese Empfehlung kann übernommen oder angepasst werden.
Beispiel 2: GenKI-generierte Kundenkommunikation (z. B. individuelle Newsletter)
Kund:innenbindung ist für lokale Bäckereien ein zentrales Thema. Viele Betriebe scheitern jedoch an der kontinuierlichen, personalisierten Kundenkommunikation – etwa über Newsletter oder Social-Media-Kanäle. Hier kommt GenKI ins Spiel.
Basierend auf dem Kaufverhalten einzelner Kund:innen – etwa durch ein digitales Kundenbindungssystem – kann GenKI individuelle Inhalte generieren. Eine Kundin, die regelmäßig vegane Produkte kauft, erhält einen personalisierten Newsletter mit dem Titel: „Neu: Unsere veganen Dinkelbrötchen – jetzt jeden Dienstag frisch gebacken“. Jemand anderes, der oft am Wochenende größere Mengen kauft, bekommt eine Nachricht wie: „Planen Sie Ihren Familienbrunch? Vorbestellen lohnt sich!“
Auch saisonale Kampagnen können automatisiert erstellt werden. Einmal mit Basisdaten (z. B. neue Produkte, Öffnungszeiten, Angebote) gefüttert, erstellt GenKI eigenständig mehrere Versionen eines Textes, zugeschnitten auf unterschiedliche Zielgruppen – im passenden Tonfall, mit passenden Bildern (sofern integriert) und sogar inkl. Rezeptvorschlägen.
Diese individualisierte Kommunikation stärkt die Kundenbindung und erhöht die Relevanz von Marketingmaßnahmen, ohne dass Mitarbeiter:innen täglich mehrere Stunden dafür investieren müssen.
Beispiel 3: Intelligente Planung von Produktionsmengen durch Nachfrageprognose
Ein zentrales Problem im Bäckereibetrieb ist die tägliche Produktionsplanung. Wie viele Brote, Brötchen oder Kuchen sollen gebacken werden? Zu viel – und es entsteht Abfall. Zu wenig – und Kund:innen gehen leer aus.
GenKI kann diese Entscheidung durch Nachfrageprognosen unterstützen. Das System greift auf vergangene Verkaufszahlen, externe Einflussfaktoren (Wetter, Schulferien, Feiertage) sowie Echtzeitdaten (z. B. aktuelle Vorbestellungen) zurück und erstellt eine belastbare Vorhersage.
Beispiel: Am Montagmorgen erkennt das System, dass Regenwetter gemeldet ist – an solchen Tagen steigt in der Regel der Absatz von warmen Backwaren und süßen Snacks. Gleichzeitig steht ein lokales Schulfest an, was den Bedarf an kleinen Brötchen erhöht. Die GenKI schlägt daher vor: „Heute 25 % mehr Käsebrötchen, 15 % weniger Ciabatta.“
Diese Empfehlung wird automatisch im Produktionsplan integriert und kann von der Backstube übernommen oder angepasst werden. Langfristig führt diese Art der intelligenten Planung zu weniger Überschuss, optimierter Personaleinsatzplanung und höherer Kundenzufriedenheit.
Diese Fallbeispiele verdeutlichen, wie GenKI konkret zur digitalen Transformation im Handwerk beitragen kann. Die Technologie eröffnet neue Handlungsspielräume, automatisiert vormals analoge Prozesse und verbessert die Entscheidungsfindung – und das selbst in einem traditionellen Umfeld wie einer lokalen Bäckerei.
2. Veränderungen im Geschäftsprozess anhand der Affordanz-Theorie
2.1 Die Affordanz-Theorie: Überblick
Die Affordanz-Theorie wurde ursprünglich vom Psychologen James J. Gibson im Kontext der Wahrnehmungspsychologie entwickelt. Er beschrieb damit die Handlungsmöglichkeiten, die ein Objekt in einer bestimmten Umgebung für ein bestimmtes Subjekt bietet. Später wurde die Theorie von Donald Norman im Bereich des Industriedesigns weiterentwickelt, insbesondere in Bezug auf die Interaktion zwischen Mensch und Technik. Norman hob hervor, dass Affordanzen nicht nur objektiv vorhanden sind, sondern auch wahrgenommen werden müssen – eine Tür mit einem Griff signalisiert z. B. das Ziehen, während eine Platte das Schieben andeutet.
In den Sozial- und Informationswissenschaften wurde das Konzept zunehmend auf digitale Technologien übertragen. Hierbei bezeichnet eine Affordanz die durch ein technisches Artefakt eröffneten (oder eingeschränkten) Handlungsmöglichkeiten für Benutzer:innen. Diese entstehen aus dem Zusammenspiel von technologischen Eigenschaften und menschlichen Zielen, Fähigkeiten oder sozialen Rahmenbedingungen.
Im Kontext der digitalen Transformation bedeutet das: Neue Technologien wie GenKI verändern nicht einfach bestehende Prozesse durch Automatisierung, sondern eröffnen – je nach Gestaltung und Nutzung – neue Arten des Handelns, Entscheidens und Kommunizierens. Dabei ist entscheidend, wie diese neuen Möglichkeiten von Nutzer:innen wahrgenommen, angenommen und in bestehende Praktiken integriert werden.
2.2 Anwendung auf den Bäckerei-Vorbestellprozess
Alte vs. neue Prozessstruktur
Auf Fallbeispiel beziehen…
Welche Affordanzen ermöglicht GenKI in der Bäckerei?
Durch die Integration von GenKI entstehen mehrere neue Affordanzen – also neue wahrnehmbare Handlungsmöglichkeiten – für verschiedene Akteursgruppen im Vorbestellprozess:
1. Für Kund:innen:
- Personalisierte Vorschläge: Die GenKI analysiert frühere Bestellungen und generiert auf dieser Basis individuelle Empfehlungen („Möchten Sie wie letzte Woche 10 Dinkelbrötchen für Freitag bestellen?“).
- Sprach- oder Texteingabe: Kund:innen können via Chatbot oder Sprachinterface interagieren, ohne ein komplexes Formular ausfüllen zu müssen.
- Planungshilfe: Die App zeigt automatisch an, an welchen Tagen bestimmte Produkte besonders beliebt oder knapp sind, und schlägt alternative Abholzeiten oder Produkte vor.
Diese Affordanzen senken die Schwelle für digitale Bestellungen, erhöhen die Benutzerfreundlichkeit und fördern Wiederbestellungen.
2. Für Mitarbeitende in der Bäckerei:
- Datenbasierte Produktionsentscheidungen: GenKI liefert konkrete Vorschläge zur Tagesproduktion („Backen Sie 20 % mehr Vollkornbrötchen, da erhöhte Nachfrage prognostiziert wird“).
- Automatisierte Kommunikation: Rückfragen oder Bestellbestätigungen werden automatisch formuliert und versendet.
- Fehlerreduktion: Durch strukturierte Datenverarbeitung wird die Fehlerquote in der Bestellannahme reduziert.
Diese Affordanzen ermöglichen es Mitarbeitenden, sich stärker auf handwerkliche Tätigkeiten zu konzentrieren, und entlasten sie von repetitiven Aufgaben.
3. Für Geschäftsführung/Management:
- Proaktive Steuerung: GenKI liefert Frühindikatoren für Engpässe, saisonale Trends oder Kundenverluste.
- Szenarioanalysen: Die Geschäftsführung kann „Was-wäre-wenn“-Szenarien durchspielen (z. B. „Wie wirkt sich ein Feiertag auf die Nachfrage aus?“).
- Zugänglichkeit für kleine Betriebe: Viele GenKI-Tools lassen sich über einfache Interfaces nutzen, ohne technisches Spezialwissen – das erweitert die Handlungsspielräume für kleine Unternehmen erheblich.
Beispielhafte Betrachtung: Digitale Bestellplattform mit GenKI-Unterstützung
Nehmen wir als konkretes Beispiel eine digitale Bestellplattform mit GenKI-Funktionalität, wie sie in unserer analysierten Bäckerei hypothetisch implementiert wird:
Technologische Basis:
Die Plattform basiert auf einer cloudbasierten Anwendung mit integriertem GenKI-Modul. Kund:innen loggen sich über eine App oder einen Webzugang ein. Die GenKI verarbeitet Kundendaten (z. B. frühere Bestellungen, Uhrzeiten, Produktpräferenzen) und bietet eine personalisierte Benutzeroberfläche.
Affordanzen für Kund:innen:
Beim Öffnen der App sieht eine Kundin automatisch ihren „typischen Freitagseinkauf“ mit einem Klick auf „Bestellen wie letzte Woche“. Zusätzlich schlägt das System saisonale oder neue Produkte vor („Neu: Erdbeer-Rhabarber-Kuchen – jetzt probieren?“). Eine einfache Chatfunktion erlaubt Rückfragen („Ist das Roggenbrot morgen glutenfrei?“), die durch GenKI semantisch korrekt beantwortet werden können.
Affordanzen für Mitarbeitende:
Auf einem Dashboard im Verkaufsraum erscheint morgens eine Übersicht der eingegangenen Vorbestellungen, sortiert nach Produktgruppen, Uhrzeiten und Abholort. Die GenKI generiert daraus konkrete Empfehlungen für den Backplan: „Heute bitte 10 zusätzliche Körnerbrötchen einplanen – steigende Nachfrage am Vormittag.“
Affordanzen für Geschäftsführung:
Ein wöchentlich generierter Bericht zeigt, welche Kund:innen nicht mehr bestellt haben, welche Produkte an Popularität gewinnen und wie die Vorhersagequalität der GenKI sich entwickelt. Daraus ergeben sich strategische Entscheidungen, etwa zur Anpassung des Sortiments oder zur Erweiterung der Öffnungszeiten.
Zusammenfassend zeigt die Anwendung der Affordanz-Theorie, dass GenKI im Bäckerei-Vorbestellprozess nicht nur bestehende Abläufe digitalisiert, sondern neue Interaktionsmöglichkeiten schafft. Diese Affordanzen wirken sich direkt auf das Verhalten, die Wahrnehmung und die Effizienz der beteiligten Akteure aus – vorausgesetzt, sie werden wahrgenommen und in bestehende soziale Praktiken integriert. Die erfolgreiche digitale Transformation hängt also nicht nur von der Technik, sondern auch von der Gestaltung und Kommunikation dieser neuen Handlungsmöglichkeiten ab.
4. Chancen und Risiken von GenKI: Imagination & Einschreibung
Die Einführung GenKI in alltägliche Arbeitskontexte wie einer Bäckerei ist nicht nur eine technische, sondern auch eine kulturelle und gesellschaftliche Herausforderung. Neue Technologien bringen nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch neue Risiken mit sich – oft nicht durch böse Absicht, sondern durch implizite Annahmen über deren Nutzung und durch soziale Einschreibungen im Design. In diesem Abschnitt werden diese Aspekte anhand der Konzepte der „Imagination“ und der „Einschreibung“ kritisch beleuchtet.
4.1 Konzept der „Imagination“ von Nutzungskontexten
Der Begriff „Imagination“ bezieht sich im soziotechnischen Kontext darauf, wie Entwickler:innen, Unternehmen oder Entscheidungsträger:innen sich die zukünftige Nutzung eines technologischen Artefakts vorstellen. Diese Imagination prägt wesentlich das Design eines Systems: Funktionen, Benutzeroberflächen, Voreinstellungen und Standardprozesse spiegeln antizipierte Nutzungsszenarien wider.
Im Fall von GenKI ist dies besonders relevant, da die Technologie offen, flexibel und generativ ist. Ihre konkrete Wirkung entfaltet sich erst durch den spezifischen Nutzungskontext – und dieser ist oft von Annahmen der Entwickler:innen geprägt, die nicht mit der Realität vor Ort übereinstimmen müssen.
Ein Beispiel: Entwickler:innen eines GenKI-Systems zur Bestelloptimierung in einer Bäckerei könnten davon ausgehen, dass Mitarbeiter:innen technisch versiert sind, regelmäßig mit digitalen Tools arbeiten und ein Interesse an datengetriebenen Empfehlungen haben. Die Realität in einem traditionellen Handwerksbetrieb kann jedoch anders aussehen: Hier sind die digitalen Kompetenzen heterogen verteilt, die Zeitfenster für Interaktion mit Systemen eng und das Vertrauen in „digitale Intelligenz“ begrenzt.
Wird diese Imagination nicht kritisch hinterfragt, kann sie zu Fehlentwicklungen führen – etwa einem System, das zu komplex ist, schlecht wahrgenommene Affordanzen bietet oder gegen etablierte Praktiken arbeitet.
4.2 „Einschreibung“ von sozialen Normen und Vorurteilen in das Design
Der Begriff „Einschreibung“ (engl. inscription), insbesondere geprägt durch die Science and Technology Studies (STS), beschreibt den Prozess, wie gesellschaftliche Annahmen, Normen, Vorurteile und Machtverhältnisse unbewusst in Technologien eingeschrieben werden. Das Design technischer Systeme ist niemals neutral – es spiegelt immer Werte, Interessen und Weltbilder wider.
In GenKI-Systemen manifestiert sich diese Einschreibung besonders in den Trainingsdaten und Algorithmen. Da GenKI auf großen Datenmengen basiert, reproduziert sie automatisch die Muster, Verzerrungen und Schieflagen, die in diesen Daten enthalten sind. Dies kann zu systematischer Benachteiligung führen – etwa durch:
- Bias in Produktempfehlungen: Wenn ein Empfehlungssystem vor allem Daten über häufig gekaufte Standardprodukte verarbeitet, fördert es diese weiterhin – Nischenprodukte, saisonale Artikel oder kulturell spezifische Spezialitäten werden marginalisiert. Die Vielfalt im Sortiment kann langfristig verloren gehen.
- Sprache und Tonfall: Eine KI, die Kundennachrichten generiert, kann unbeabsichtigt stereotype Sprachmuster oder Gender-Bias übernehmen („Guten Morgen, Frau Kundin“ bei geschlechtsneutralen Namen).
- Normalisierung von Effizienzlogik: Systeme sind oft darauf ausgelegt, Prozesse zu beschleunigen, zu standardisieren und zu „optimieren“. Dabei können wichtige menschliche Werte wie Intuition, Beziehungspflege oder Kreativität unter den Tisch fallen.
In unserem Fallbeispiel einer Bäckerei könnte die GenKI z. B. lernen, dass „Butterbrezeln“ besonders profitabel sind, und diese verstärkt bewerben – obwohl sie für viele Kund:innen mit Laktoseintoleranz nicht geeignet sind. Die KI „lernt“ nicht, dass Vielfalt oder Inklusion einen Wert darstellen – es sei denn, diese Normen werden bewusst in das System eingeschrieben.
Ein weiteres Beispiel: Wenn ältere Kund:innen tendenziell seltener digitale Vorbestellungen tätigen, interpretiert das System dies möglicherweise als „geringe Relevanz“ dieser Zielgruppe – und reduziert automatisch die Kommunikation für diese Nutzer:innen. So werden bestehende digitale Ungleichheiten nicht reduziert, sondern verstärkt.
4.3 Reflexion für das Fallbeispiel
Welche Nutzungsszenarien wurden (nicht) antizipiert?
Im analysierten Fallbeispiel – einer digitalisierten Bäckerei mit GenKI-gestützter Vorbestellplattform – wurden bestimmte Nutzungsszenarien gut antizipiert:
- Digitale Wiederbestellung für Berufspendler:innen
- Automatisierte Produktempfehlungen für treue Stammkund:innen
- Produktionsplanung mit datenbasierten Vorschlägen für Mitarbeitende
Doch andere potenzielle Kontexte wurden weniger berücksichtigt:
- Kund:innen mit eingeschränktem digitalen Zugang (ältere Menschen, sozial Benachteiligte)
- Mitarbeitende mit Sprachbarrieren oder ohne formale IT-Kenntnisse
- Situative Nutzung (z. B. spontane Kundenanfragen im Laden, kurzfristige Änderungen)
Diese „blinden Flecken“ der Imagination führen dazu, dass bestimmte Gruppen von den Vorteilen der GenKI weniger profitieren oder gar ausgeschlossen werden.
Auch das Design der Plattform selbst kann Ausschlüsse verstärken: Wenn z. B. die App nur auf Deutsch verfügbar ist, keine einfache Vorlesefunktion enthält oder eine E-Mail-Adresse zwingend voraussetzt, sinkt die tatsächliche Nutzbarkeit – trotz theoretischer Funktionalität.
Risiko: Automatisierung ersetzt menschliche Intuition
Ein zentrales Risiko im Einsatz von GenKI besteht in der Substitution menschlicher Entscheidungsprozesse durch algorithmische Vorschläge. Dies birgt mehrere Gefahren:
- Verlust von Erfahrungswissen: Langjährige Mitarbeitende haben ein tiefes Gespür für „ihre“ Kundschaft, lokale Ereignisse oder Mikrotrends. Wenn ihre Intuition durch algorithmische Empfehlungen ersetzt wird, geht wertvolles Wissen verloren.
- Trügerische Objektivität: GenKI-Empfehlungen erscheinen oft als „neutral“ oder „faktenbasiert“, obwohl sie nur das Replizieren historischer Daten darstellen. Dies kann dazu führen, dass Entscheidungen ohne kritische Reflexion übernommen werden.
- Selbstverstärkende Effekte: Wenn Mitarbeitende stets den Empfehlungen der KI folgen, werden diese Empfehlungen zur neuen Norm – auch dann, wenn sie situativ unangemessen sind. Abweichungen von der KI-Logik erscheinen zunehmend als „Fehler“.
Gerade im Vorbestellprozess, der stark von sozialen Dynamiken, saisonalen Besonderheiten und spontanen Kund:innenbedürfnissen geprägt ist, ist die Gefahr groß, dass Automatisierung menschliche Flexibilität untergräbt.
Fazit
Die Integration Generativer Künstlicher Intelligenz (GenKI) in kleinbetrieblichen Kontexten – wie im analysierten Vorbestellprozess einer Bäckerei – verdeutlicht eindrucksvoll die doppelte Natur digitaler Transformation: Sie bietet nicht nur neue technische Möglichkeiten, sondern verändert auch grundlegend, wie Arbeit organisiert, Kommunikation gestaltet und Entscheidungen getroffen werden.
Die Analyse zeigt, dass GenKI-Systeme vielfältige Affordanzen eröffnen – von personalisierten Bestellvorschlägen bis hin zur automatisierten Produktionsplanung. Diese Handlungsmöglichkeiten können Prozesse effizienter, fehlerfreier und kundenorientierter machen, sofern sie wahrgenommen und in bestehende Praktiken integriert werden. Gleichzeitig ist zu beachten, dass diese Systeme nicht neutral sind: Ihre Nutzung wird geprägt durch antizipierte Anwendungskontexte („Imagination“) und durch soziale Normen oder Vorannahmen, die in ihr Design eingeschrieben sind.
Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) liegt die große Chance von GenKI in der Skalierbarkeit intelligenter Systeme ohne große IT-Infrastruktur – etwa durch cloudbasierte Anwendungen mit einfacher Bedienung. Besonders im Handwerk eröffnen sich neue Wege, um Kundennähe, Effizienz und Qualitätsanspruch miteinander zu verbinden.
Doch diese Potenziale lassen sich nur verantwortungsvoll ausschöpfen, wenn Unternehmen bei der Einführung von GenKI nicht nur funktionale, sondern auch ethische, soziale und kulturelle Fragen mitdenken. Das bedeutet: die Vielfalt von Nutzenden berücksichtigen, Mitarbeitende in die Gestaltung einbeziehen, transparente Systeme wählen und Raum für menschliche Intuition lassen.
Zukünftig wird es entscheidend sein, dass KMU nicht nur „Technologie übernehmen“, sondern sie aktiv mitgestalten – und zwar so, dass sie den Menschen und nicht nur der Maschine dient.